a shotgun is visible and intimidating

Jetzt mal zur Abwechslung ein subjektiver Beitrag. Ein Beitrag, der
nicht versucht den Anschein von Objektivität zu erwecken. Gonzo heißt
das oder so, aber vielleicht passt das so nicht. Egal. In Berlin ist es
eiskalt. Ich habe meine lange Unterhose in Wien gelassen, weil ich fest
darauf hoffte, dass spontan der Frühling einbricht. So bin ich. Jetzt
habe ich Halsweh, brauche aber ein Bier, weil das Leben so freundlich zu
mir ist und mich heftig durchbeutelt. Wo trinke ich das? In diesem Café
im Haus der Kulturen der Welt, wo ich bis jetzt noch nie ein Trinkgeld
gegeben hab. Wo die Steckdosen an der Decke sind. Wo mir der Urs (unser
lieber Austauschbekannter aus der Schweiz, der draußen die
Hardware-Kochperformance macht und den es auch nicht mehr freut, für 200
Euro gesamt jeden Abend in der Kälte zu stehen, wo nach der dritten
Performance doch eh keiner mehr zusieht) hat mir heute gesagt, dass man
nicht an diesen Feuerlöschteilen an der Decke ankommen darf, weil sonst
das ganze Haus der Kulturen geflutet wird. Mit Löschwasser oder so.

Die Ausstellung, und ich muss dazusagen, dass mich das Thema Klimawandel von Anfang an nicht angeturnt hat, ist latent lahm. Vor zwei Jahren war sie besser. Kleiner (noch kleiner) aber besser. Minimalistischer und reduzierter irgendwie. Dieses Jahr haben sie eigenartige Planen in der
Ausstellung kreuz und quer gehängt, auch in der Aula. Das soll irgendwie architektonisch sein, ist aber nur banal und wirkt auf schlechte Art und Weise improvisiert. Zusammengeschustert, lieblos, russisch. Die Texte zu den Exponaten sind mit Gafferband auf den Boden geklebt. Das rockt.
Riecht leicht punkig, wie ich finde. Aber wenn lieblos, dann doch gleich
gescheit, oder? In der Ausstellung selbst finde ich die Extreme Green
Guerillas lustig. Die wollen Nachrichtensysteme über Zugvögel machen,
Tauben mit leckeren Wachteln kreuzen und sowas. Find ich super, aber
Idealisten verarschen ist auch nicht sonderlich schwer. Dieser riesige
Eisblock der langsam schmilzt ist auch sehr schön. Das Schmelzwasser
tropft in ein Becken. Man hat mir gesagt, sie hätten Probleme, dass es
nicht überläuft. Haben mal gemeint, es müsste als interaktiv laufen und
man soll das Eis mit Jostabeerengeschmack versetzten und das Publikum am
Becken schlürfen lassen. Problem wäre gelöst. Die anderen Exponate sind
eher so bemüht kritisch und beschäftigen sich müßig mit
Milchtransportwegen im Afrika, Wind, Wetter und sonstigen Dauerbrennern.
Aus ähnlichen Gründen räumen bei Kurzfilmwettbewerben die noch so
schlechten Clips, bei denen es um Ausländer, gequälte Tiere oder
sonstwas geht, an dem sich die Bildungsbürger eine Ladung Problematik
abwichsen können, die Preise ab.

Von den Vorträgen hab ich ehrlich gesagt nicht viel mitbekommen, die sind wahrscheinlich eh sehr interessant, das ist nicht die Frage. Vor zwei Jahren waren die super und man hatte den Eindruck, es geht mehr um die Vorträge als um Kunstexponate. Aber wenn man hier halb konsumiert und halb arbeitet ist man bei der Transmediale halber Insider und halb völlig ausgeschlossen.
Ein Outlaw, der mehr Einblick hat als gesund für ihn ist. Beiträge
wollen geschnitten werden, Leute interviewt, man kommt zu allen VIPs und
darf sie ausquetschen wie politisch korrekte Zitronen. Aber gerade
deswegen verliert man nach einer Weile endgültig den Überblick, fühlt
sich Zeit- und Raumlos wie auf einem Flughafen. Ein Utopia, ein
Nichtraum, eine Lounge. Setzt sich in das Café, in das man flüchtet –
weil das tagr.tv büro leuchtet wie eine U-Bahn innen und man sich
Schichten vom Elektrosmog scheibenweise schneiden kann – ein Café, bei
dem die Steckdosen an der Decke sind und trinkt ein Bier. Lässt endlich
und flauschig im Hirn die Finger über die Tastatur fliegen. Dabei muss
ich wohl sagen: Der künstlerische Leiter Stephen Kovats ist ein
grundsympatischer Typ. Ich mag ihn sehr. Die Medienmenschen, die sich
hier sonst kennenlernen, wiedertreffen und socialisen machen ein Klima,
das mir zutiefst zuwider ist. Buzzwords, Insider und Möchtegerns –
gefangen in einem abartig technologieschwangeren Brei aus Style – die
ein Feld eröffnen, auf dem sich Aktionskünstler am ehesten mit Geld
bewerfen lassen. Technology in Art ist und bleibt ein tasting of Dollar
Bills, und so bleibt es auch eine Weile beim potenziellen Ökoschmonz.

Es dünstet in allen Ecken und Enden nach Eliten und Menschen, die nichts
mehr hassen als etwas zu versäumen – ob Kunst, Party oder Trend – und
sich so an vorderster Front vor den Füßen herumstolpern. Aber in
Wahrheit sind das alles nette Menschen, die bestimmt gerne Internet
surfen und Filme gucken und auf den zweiten Blick wie ich und du sind,
würde man die Zeit haben, sie besser kennen zu lernen. Nur besser. Und
wo wir schon dabei sind, da sitze ich nun im Café, bei dem die
Steckdosen an der Decke sind, trinke ein Bier, weil das Leben liebevoll
heftig zu mir ist und tippe fiese Dinge in mein Macbook, bei dem ich den
leuchtenden Apfel überklebt habe und meine, man wüsste dann nicht, dass
es ein Macbook ist. Mit Tantalon versetzt, um das im Kongo blutige
Kriege mit bisher über 3 Millionen Toten geführt wurden. Die Arbeit
“Tantalon Memorial” in der chill out area erinnert mich ständig daran
und noch immer habe ich das Teil nicht auf den Müll geschmissen.

Gute Menschen, wie auch die Kunst, tun so, als seien sie subversiv und
dagegen, im Wissen, dass man eigentlich selbst der Typ ist, der
Klischees in das Apple Styleprodukt hackt als gäbe es kein Morgen. Dass
man längst einer von ihnen ist. Dass man anfängt zu versuchen zu
schreiben wie Hunter S. Thompson, aber es doch irgendwie nicht
hinbekommt. Da fallen mir nochmal die Partys ein: Der Club Transmediale,
der heuer wieder im “Maria” ist, war gestern sehr hart. Man war den
Betrügern auf den Fersen. Den krummen Fingern, die sich die Pässe von
anderen ausborgen um dann einen drauf zu machen. Ausweise werden
kontrolliert, als würde man die Feiertage in der DDR verbringen wollen.
Als ich zu den Frauen am Eingang meine, ich werde ab nun jede
Gelegenheit nutzen den Club zu bescheißen, lochen sie meinen
Festivalpass. Ich gehe trotzdem hinein. Man darf nicht rauchen. Ich
rauche trotzdem, ich Wildsau ich. Es riecht nicht mehr nach Rauch dafür
nach Schweiß. Ich tanze trotzdem. Die Biere sind Kinderbiere und gehen
zu Wucherpreisen über den Tresen. Die Musik gegen Ende war dann doch
interessant, Oldskool irgendwie, an ein ein Kraftwerk-Update erinnernd.
Auch die Visuals. So mit Zahlen. Ich mag Zahlen. So Moment… ich hol
mir noch ein Bier.

Kurzfilme hab ich noch keine gesehen hier – keine Zeit. Vorträge: keine gesehen – keine Zeit. Bisher einen persönlichen Blogeintrag – ansonsten keine Zeit. Jetzt aber. Und eigentlich sind wir ja noch drei Tage hier. Hier, wo die Raucher den Aufstand im Transmedialeclub proben können, der Eisblock endgültig geschmolzen und das Becken übergelaufen ist, die Öko-internet
Avantagarde nichts mehr zu reden weiß, der Blog zugebloggt, die Umwelt gerettet und die Kunst wieder zum brennen gebracht, die Bänder gecaptured, das Budget Berlins sexy, die Texte getippt, alles verrissen, alles gut und ich im Endeffekt zufrieden und komatös bin.

3 Responses to “a shotgun is visible and intimidating”


  • Laura de'Pauli

    Was für ein wunderbar liebevoller Verriss und gerade in seiner Subjektivität doch so anschaulicher Ein- und Ausblick, danke!

  • gut, dass du mich erwähnt hast. mahlzeit!

  • metamicro

    real content. mehr davon!

    jeder einzelne absatz ist gewichtiger und stimmungsvoller als vier videointerviews.

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